Leseprobe:
Der Tag würde ein ganzes Stück haarsträubender werden als gedacht:
Baumann fuhr an diesem lauen Abend nach Köln-Vingst auf die andere Rheinseite, hatte schnell den Zielort erreicht und sah sich um. Die Gebäude eine Aneinanderreihung von durchweg renovierungsbedürftigen Mietskasernen, Schmierereien von minimalbegabten Sprayeridioten an jeder Wand, alle paar Meter überquellende Mülltonnen. Dazwischen Kioske ohne Ende und in den Geschäften, die nicht leere Schaufenster mit einem „Zu vermieten“ Schild aufwiesen, 1-Euro-Läden und Handyshops. Sie waren auch hier das Einzige, das dem allgemeinen Verfall noch letzten Widerstand leisteten.
Baumann überlegte einen Moment, ob er sicherheitshalber die Sig Sauer einstecken sollte, entschied sich aber dagegen. Das Treffen sollte in einem ehemaligen Irish Pub stattfinden, der, Höhepunkt der schöpferischen Kreativität des ursprünglichen Besitzers, „The drunken Irishman“ geheißen hatte, und immer noch so hieß, obwohl der Laden längst abgerockt, verkauft und von der einheimischen Trinkergemeinde übernommen worden war.
Was sollte da schon schiefgehen?
Was Baumann nicht berücksichtigte, aber besser hätte tun sollen, war, dass man nie genau wissen konnte, was da gerade aus dem Dunkel auf einen zukam. Denn manchmal war es eben nicht das Licht am Ende des Tunnels, das da verheißungsvoll leuchtete, sondern der Scheinwerfer des entgegenkommenden Zugs. Vielleicht hätte er früher an diese Möglichkeit denken sollen, bevor er die Tür zum „The drunken Irishman“ aufstieß.
Vielleicht hätte er auch einfach mal nicht so ein verdammter, leichtsinniger Idiot sein sollen.
Wie auch immer.
Baumann stieß also die Tür auf, deren buntes Bleiglasmosaikfenster zerbrochen und nur noch von einem Sperrholzbrett gehalten im Rahmen hing, Zigarettenrauch und Lärm stand wie eine Wand und es war gesteckt voll in dem Bums. Das Innere der Bar sah aus wie eine Bahnhofsgaststätte in den Siebzigern, dunkle Holzvertäfelung, wacklige Stühle an vernarbten Tischen, spärliche Beleuchtung an den Wänden. Typen in bunten Football-Shirts bevölkerten den Tresen, wo ein Fernseher ohne Ton irgendein Spiel zeigte, weiter hinten warfen ein paar Jugendliche Pfeile auf eine Dartscheibe, in einer Ecke sassen alte Männer und hielten sich an ihrem Bier fest. Weibliche Gäste waren nicht zu sehen.
Hinter dem Tresen langweilte sich eine ältere Blondine und versuchte, sich möglichst wenig zu bewegen, damit das, was sie sich zur Verschönerung ins Gesicht gespachtelt hatte, nicht abbröckelte. Baumann ging rüber zu ihr.
Sie musterte ihn besorgniserregend lang. Dann nuschelte sie: „Was darf`s denn sein?“ Prompt zeigten sich erste Setzrisse auf der rechten Wange.
„Ich nehme ein Bier.“
Blondie schlurfte zum Zapfhahn.
„Lieber eins aus der Flasche. Kann derzeit nicht so gut aus dem Glas trinken.“
„Glaub ich.“ Sie deutete auf sein Gesicht. „Siehst ja auch echt Scheiße aus. Kriegst anscheinend öfter mal was in die Fresse.“
„In letzter Zeit wieder mehr“, bestätigte Baumann, war aber nicht sicher, ob sie das gehört hatte, weil sie im Kühlschrank nach einer vermutlich lange verschollenen Flasche Bier kramte. Baumann war gespannt, was sie zu Tage fördern würde.
„Hab aber nur das hier“, meldete sie sich dann und hielt eine 0,33er Flasche Gaffel hoch.
Hätte schlimmer kommen können.
Blondie warf einen abgegriffenen Bierdeckel auf den Tresen und knallte die Flasche drauf. Baumann schielte nach dem Ablaufdatum, fand auf Anhieb keins und nahm dann todesmutig einen tiefen Schluck. Eiskalt. Herrlich.
„Hab dich noch nie hier gesehen“, machte Blondie auf Smalltalk.
„Wundert mich nicht“, meinte Baumann. „War ja auch noch nie hier.“
„Und was machste dann hier?“
Baumann nahm einen weiteren herzhaften Schluck.
„Ich werde erwartet.“
„Ist das so?“
„Ja. Von Siegfried.“
Blondie löste sich vom Tresen und meinte: „Ach so, du bist das. Na, dann komm mal mit.“
Baumann leerte die Flasche und trottete hinter ihr her. Sie betraten die Küche, wo eine jüngere Version von Blondie auf einem Ketchupeimer sass, schon so hartgesotten blickte wie ihre Mutter, geräuschvoll Kaugummi kaute, gleichzeitig rauchte und in einem abgegriffenen Modemagazin blätterte.
„Vivien, hiev deinen Hintern an die Bar. Muss mal kurz weg.“
Widerwillig erhob sich die Göre, produzierte eine rauchgefüllte Kaugummiblase, ließ sie platzen und trollte sich endlich Richtung Theke. Blondie entfernte mehrere Vorhängeschlösser an der hinteren Türe und führte Baumann hinaus auf eine schlecht beleuchtete Gasse.
Und trat sofort beiseite.
Sie erwischten ihn gleich beim ersten Schritt in die Gasse. Baumann hörte ein Geräusch hinter sich, fuhr herum, hatte aber nicht genug Platz, dem Schlag komplett auszuweichen. Immerhin gelang es ihm, dem Angriff mit einem palmok daebi makgi, einem Unterarm-Schutz-Block, die Durchschlagskraft zu nehmen. Baumann wurde dennoch von der Wucht des Schlages nach vorne auf die Gasse getrieben, wo zwei Typen mit Skimasken auf dem Gesicht wie aus dem Boden gewachsen da standen, einer groß, einer riesengroß. Baumann nutzte den Schwung, um dem Großen aus kurzer Distanz einen Aufwärtshaken sewo jireugi zu verpassen, und registrierte befriedigt, dass die Zähne des Typen geräuschvoll aneinanderschlugen und er wie ein leerer Sack in sich zusammenfiel. Das war es dann aber auch mit Baumanns Glück. Und seiner aktiven Beteiligung am Kampfgeschehen.
Den nächsten Schlag des Kerls hinter ihm konnte Baumann nicht mehr abfangen. Der Schlagring traf ihn voll am Hinterkopf, Wärme sickerte ins T-Shirt und metallischer Blutgeruch stieg in seine Nase. Dann, und das musste ja so kommen, trat der Riesenkerl ihm voll in die Eier. Baumann klappte zusammen und kotzte hingebungsvoll. Stiefel tänzelten beiseite. Den nächsten Tritt bekam er in die Schnauze, sein Nasenbein brach und Zähne prallten schmerzhaft aufeinander. Dann prügelten sie ihm methodisch und ohne Hast die Scheiße aus dem Leib.
Baumann lag auf dem Boden, überall Schmerz, Blut und Kotze. Sie wollten ihm was mitteilen, so viel war klar, aber was verdammt noch mal war falsch an einer schönen knackigen Whatts App?
Dann eine Stimme direkt an seinem Ohr: „Kümmere dich nicht um anderer Leute Angelegenheiten.“
Als sie sich endlich davon machten, wollte er ihnen noch „Fuck you very much, ihr gottverdammten Arschlöcher!“ nachrufen, aber sein Mund war voller Blut.