Leseprobe:

 

Es hatte nur ein bisschen Mühe und ein paar Anrufe gekostet, dann hatte Katja herausgefunden, dass der „Club Cherie“ in einer schäbigen Baracke inmitten stillgelegter Industrieanlagen zu finden war.

    Baumann bog auf den Parkplatz ein, parkte und drehte den Zündschlüssel des Alfa. Der Motor der italienischen Primadonna erstarb. Das konnte er prima.

    Baumann stieg aus und schaute sich prüfend um. Eine einsame Straßenlaterne flackerte unruhig in den letzten Zügen. Und auch die matte Neonbeleuchtung über der feuerroten Eingangstür konnte den Kampf gegen die einsetzende Dunkelheit nicht gewinnen. Nicht weiter schlimm, fand Baumann. Denn so verloren die grellrosa gestrichene Fassade des Clubs und das wenig einladende Umfeld zumindest ein wenig von ihrer abschreckenden Wirkung.

    Der Parkplatz lag völlig verlassen da. Nur ein weiteres Auto, ein alter mintgrüner Ford Capri mit Ralleystreifen und heftigen Rostschäden stand einige Meter weiter mit platten Reifen da und gammelte vor sich hin. Gras- und Unkrautbüschel wucherten um die Räder, das Schätzchen war vermutlich seit Jahren nicht mehr bewegt worden. Schade, wirklich schade um das schöne Auto, dachte Baumann und schlug den Jackenkragen hoch. Kalter Aprilwind trieb eine alte Zeitung über den Parkplatz, eine leere Coladose schepperte geräuschvoll hinterher. Dunkle, tief hängende Wolken zogen rasch über den Abendhimmel und kündeten erneut Regen an und eine Windböe wehte schemenhaften Gestank von Unrat und Pisse zu Baumann herüber. Heimelige Gegend, war sein abschließendes Fazit, hier wollte er nicht mal tot überm Zaun hängen.

    Es war vermutlich noch ein bisschen früh für die Nachtschwärmer, die sich in diesem Etablissement ihren verwegenen Vergnügungen widmen wollten, spekulierte Baumann dann und zögerte noch kurz vor der Eingangstür. Sollte er sich nicht doch lieber eine Strategie, einen Plan überlegen? Ach was, scheiß auf Plan, schließlich war er ein Meister der situativen Improvisation.

    Oder so ähnlich.

 

    Also rein in den Laden und nach zwei, drei unsicheren Schritten in sinnverwirrender Dunkelheit auch rein in einen schweren, burgunderroten Samtvorhang, der den Eingangsbereich vom eigentlichen Clubraum trennte. Nach kurzem, schweißtreibendem Kampf hatte Baumann auch dieses Hindernis überwunden und stand dann plötzlich und ein wenig außer Atem mitten im besonderen Ambiente eines Clubs, wie man es in der Stadt sicher kein zweites Mal finden konnte. Das Mobiliar, eigentlich die gesamte Einrichtung hatte schon deutlich bessere Tage gesehen. Vermutlich um die Jahrhundertwende, die vorletzte wahrscheinlich. Einige wacklige Tische und Stühle waren scheinbar wahllos im Raum verteilt, vereinzelte grüne Stofflampen im Fünfziger-Jahre-Barock gaben nur sparsam Licht und auch die Beleuchtung über den Barhockern, deren abgewetzte Kunstledersitzflächen deutliche Risse aufwiesen, war gedämpft. Und das war gut so. Denn so war wenigstens nicht allzu deutlich zu erkennen, dass die Stripteasetänzerin, die sich auf der kleinen Bühne lustlos ihrer von vorne herein schon spärlichen Berufsbekleidung entledigte, zügig dem Rentenalter entgegen strebte. Zwei oder drei Besucher hielten sich wacker an ihrem Bier fest und genossen die künstlerische Darbietung. Baumann peilte die Theke an.

    „Wer ist denn hier der Geschäftsführer?“

   Der Barkeeper nickte rüber zu einem Tisch, der etwas abseits in einer Nische stand. Dort saß ein untersetzter Fettschwabbel mit Halbglatze und dick gerahmter Nickelbrille und stocherte lustlos in seinem Abendessen. Das musste dieser „Brille“ sein, von dem Micky ihm erzählt hatte, bevor seine Visage so zugeschwollen war, dass er keinen Pieps mehr rausbrachte. Baumann nahm sein Bier, schnürte rüber und zog sich ungefragt einen Stuhl ran.

    „Hallo, wie geht`s denn so?“

    Brille blickte mürrisch auf. „Was bist Du denn für einer?“

   „Ich bin Siggi Seidel, ein Mitarbeiter von Dr. Kern. Er hat mir erzählt, dass hier von Zeit zu Zeit so richtig heiße Partys laufen. Würde da gerne mal mitmischen.“ 

    „Hier gibt`s keine Partys. Verpfeif dich.“

    „Kommen Sie. Wolter hat das doch auch erzählt.“

   Brille musterte Baumann aus seinen Riesenglubschern und schwieg beharrlich. Schließlich, Baumann hatte schon befürchtet, dass Fettschwabbel unbemerkt ins Wachkoma gefallen sei, schnippte der mit den Fingern und, haste nicht gesehen, standen da zwei muskelbepackte Gorillas und starrten Baumann finster auf den Hinterkopf. Baumann musterte die beiden verstohlen: Knapp zwei Meter groß, fast ebenso breit, schlecht sitzende Anzüge, schwarze Halbschuhe der Größe Waldbrandaustreter, massige Quadratschädel mit Zopf hinten dran. Das ganze Paket aufdringlich umweht von Old Spice und geschätzte zweihundertsechzig Pfund schwer. Jeweils. Tatsache.

  Da sie ihm nicht vorgestellt wurden, beschloss Baumann, sie der Einfachheit halber Arschloch 1 und Arschloch 2 zu nennen.

    „Schafft ihn weg. Durch den Hinterausgang. Aber unauffällig!"

   Baumann hoffte einen Moment lang, dass Fettschwabbel mit seiner Anordnung den Teller mit den Resten des Abendessens gemeint haben könnte, wurde aber enttäuscht. Die beiden Arschlöcher packten ihn rechts und links unter dem Arm, hievten ihn mit spielerischer Leichtigkeit aus dem Stuhl und zerrten ihn in den hinteren Bereich, wo A 2 eine Tür öffnete, die in einen langen Flur mündete.

   Der Flur, ohnehin schon schmal, war brusthoch voll gestellt mit Getränkekisten und Abfallbehältern, so dass sie nur hintereinander - Baumann vorweg, dann A1, dahinter A2 - gehen konnten. Sie steuerten auf eine eiserne Brandschutztür zu, über der ein grün beleuchtetes Notausgangsschild hing. Diese Notausgangstüren sollten immer unverschlossen sein und nach außen aufgehen, für den Fall, dass die Leute in einer Panik nach draußen drängten. Baumann hoffte, dass man sich auch in diesem Laden an die entsprechenden Vorschriften hielt. Er fummelte seine Sonnenbrille raus, ließ sich zurückfallen und jammerte „Jungs, ihr werdet doch keinen Brillenträger schlagen, oder?“

    A 1 gab ihm erwartungsgemäß einen heftigen Stoß, Baumann nutzte den daraus resultierenden Schwung, stieß die schwere Brandschutztüre auf, schlüpfte hindurch, knallte sie mit aller Kraft zu und riss sie wieder auf. A1, der die Türe voll ins Gesicht bekommen hatte, hielt sich die blutige Nase und glotzte waidwund. Baumann trat ihm in die Eier. A1 ging stöhnend in die Knie und Baumann rammte ihm seine Faust ins Gesicht, woraufhin A1 eine ungeplante Auszeit nahm.

    Glaskinn.

  A2 knurrte bösartig und kletterte über seinen Kumpel hinweg. Baumann gab Fersengeld, hatte aber vergessen, die Sonnenbrille abzunehmen, so dass er fast blind über den nur unzureichend erleuchteten Hinterhof taumelte. Prompt stolperte er über einen Stapel Bierkisten und knallte in zwei randvoll gefüllte Mülltonnen, die ihren stinkenden Inhalt über ihn ergossen. Eine Ratte huschte Schutz suchend davon. Noch bevor sich Baumann aufrappeln konnte, war A2 angekommen, riss ihn hoch und hämmerte ihm die Linke als Uppercut seitlich ans Kinn. Die Sonnenbrille machte einen Abflug und Baumann krachte wieder in die Mülltonnen. A2 kam schweigend, bedrohlich, unaufhaltsam hinterher. Baumanns Hände ertasteten ein langes Eisenrohr, er rammte es A2 mit aller Kraft in den Solarplexus, schwang noch im Liegen das Rohr herum und wuchtete das Eisen gegen die rechte Kniescheibe des Gorillas. Der brüllte wie am Spieß, kippte um, und Baumann konnte sich gerade noch rechtzeitig zur Seite wälzen, bevor die einhundertdreißig Kilo Lebendgewicht auf den Boden krachten. Baumann stemmte sich schweratmend hoch, taumelte zu A2 und verpasste ihm einen Vollspannkick unters Kinn, woraufhin sich A2 zu seinem Kumpel ins Land der Träume gesellte.

    Baumann schmiss das Rohr beiseite, stützte die Hände auf die Knie und spuckte blutigen Schleim. Er betastete vorsichtig sein Kinn. Meine Fresse, hatte der ein Pfund drauf. Die Lippe war aufgeplatzt, die rechte Gesichtshälfte fast taub und dumpfer Schmerz pochte hämmernd in seinen Schläfen. Wenigstens ließen sich alle Finger noch bewegen und zahntechnisch schien auch alles okay.

    Baumann schlug seine Jacke aus. Scheiße, er war dreckig wie `ne Sau und stank erbärmlich. So konnte er nicht zum Treffen mit Wolter, das war klar. Und seine Sonnenbrille, die geile Ray Ban-Imitation war auch weg. Stinksauer trat Baumann A2 in die Seite.

   Verdammter Wichser.

   Baumann ließ sich stöhnend in den Ledersitz seines Alfa sinken und schloss kurz die Augen. Langsam sank sein Adrenalinspiegel wieder auf Normalmaß. Irgendwie war das mit der Improvisation ein Schuss in den Ofen, dachte er und wollte seine Augen wieder öffnen, aber das erforderte beinahe übermenschliche Anstrengung. Leise, unmerklich glitt Baumann in das Zwielicht übermächtiger Erschöpfung ...

    … und schreckte hoch.

    Er sah sich hektisch um und startete den Alfa. Er sollte besser weg sein, bevor die beiden wieder zu sich kamen.

    Niemand zu sehen. Erleichtert rollte er vom Parkplatz.

News

Der nächste Lesetermin steht: Am Freitag, den 24.05.24 lese ich um 18:30 Uhr aus meinem neuen Köln-Krimi "Im Morgengrauen wartet der Tod" im Vintage & Vinyl, einem superschönen Laden für gebrauchte Schallplatten und vieles mehr. Adresse: Iltisstraße 12, 50825 Köln-Ehrenfeld. Der Eintritt ist frei.

 

Infos über absolvierte Lesetermine findet Ihr unter Fotos und Presse.